Portrait meiner Mitbewohnerin Theresa

Hinter ihr die Balkontüre, vor ihr der Eingang. In der Mitte am Tisch: Theresa.

Nein, Couches stimmt nicht, Lounges heißt es richtig, sie braucht einen Radiergummi(mit den Fingern lassen sich sie zwei oder drei Bleistiftschichten nicht wegwischen). Razitko heißt das, oder, nein, das ist ja der Stempel, razitkovat stempeln. Radiergummi heißt doch auch irgendwas mit Gummi, gumák oder so. Er ist so stark dass er auch das auf dem Zeitungspapier Gedruckte heller macht, es nicht ganz wegwischt, aber verblassen lässt. Schön wie man das alles so schnell und einfach weglöschen kann wenn man etwas falsch geschrieben hat. Lästig sind Theresa nur die Gummiflankerln, die dabei entstehen. Sie wischt sie weg von ihr, in Richtung Tischkante / Boden. Sieht die kleinen Flecken auf ihrem weißen Leiberl (Longsleeve), der grüne ist der jüngste, von der Avocado vorhin. Theresa hat den Speisezettel auf dem Gewand, alles Mögliche ist da schon raufgetropft gestern und heute.

Zwei Uhr vorbei, über dem Türrahmen stehts. Das ist noch früh, da bleibt noch genug vom Tag um etwas anzufangen. Zwischen dem Uhrticken und dem Brummen des Kühlschrankes lässt sie langsam ab von diesem Rätsel, es ist schon fast fertig, die zwei oder drei Worte weiß sie einfach nicht und sie will nicht mehr draufkommen, nicht heute. Rausgehen könnte sie, da draußen hinter ihrem Rücken wartet ein ruhiger langsamer Sonntagnachmittag mit der letzten Sommersonne auf den Herbst, dem will sie näher sein. Wie, was tun, es ist niemand in der Stadt heute, den sie kennt. Roman arbeitet in P., ob sie mitfahren wolle hat er sie gefragt, aber es war ihr zu viel und zu spät um zuzusagen. Und überhaupt, nach P. so als Begleitung, nein. Allein wieder einmal, es ist ihr so lieber.

An ihren Fingernägeln reißend überlegt Theresa wohin an diesem Nachmittag, gibt ja einige Plätze, die sie hier interessieren, eigentlich und doch weiß sie nicht wohin. Also los, einfach so. Nur noch etwas anderes anziehen vorher. Also lässt sie ab von den Fingernägeln, bei manchen sind die sichelförmigen weißen oberen Enden von diesen Halbkreisen gestört, unterbrochen. Weil die Nagelhaut aufgerissen ist oder warum, sie geht doch relativ vorsichtig um mit ihren Fingern. Am schlimmsten war es in der zweiten Klasse Volksschule, da ist sie jeden Nachmittag am Fingernägelreißen gewesen, das was dazwischen nachwuchs, kam am nächsten Tag dran; bis die Mutter sie dann davon abbrachte, indem sie Theresa auf die anstehende Erstkommunion hinwies, zu der sie doch bestimmt schöne Fingernägel haben wollen würde, wie das half. Aber ganz weg ist es also doch noch nicht, dieses nervöse Herumkratzen und Reißen.

Theresa packt die Tasche, ohne allzu viel darin einzupacken und entwirrt die Kabel der Kopfhörer/Ohrenstöpsel, auf den Halbkreisen der Steinernen Treppen hinuntertappend. Im Rhythmus des Tages, in ihrem Rhythmus, der wohl gleich in den Mauern untergeht, von der Stille, dem Rauschen da draußen überdeckt und sie selbst überdeckt es auch mit Musik in den Ohren. Türschlagen hört sie, der nächste Schlag: intstrumental. Helene hat ihr letzte Woche von dem Mädchenheim erzählt, in das sie ziehen möchte, das gleich beim Café Blanko ist, also auch in der Nähe von Theresas Institut. Sie möchte das sehen, Helene hat so davon geschwärmt und nach ihren Berichten scheint es Theresa dort sehr angenehm zu sein. Dass sie das Gebäude noch nicht bemerkt hat, liegt wohl daran, dass sie ihren Weg nie vom anderen Eck, über den Zebrastreifen ohne Ampel dort bei der Börse, zum Institut nimmt.

Im Theater spielen sie heute Abend Schnitzlers „Reigen“, den wollte Theresa sich doch auch ansehen, davon hat sie schon gehört, gelesen, das gleiche was hier im Programm auch steht. Zum letzten Mal heute, um 20:00, sie wird hingehen.
23° zeigt die Temperaturanzeige am Optikerladen, zwischen Spiegeln und Brillen, ein grelles Schaufenstergebiet. Die Gehsteige im Einheitlichen Grau irritieren Theresas Schritte immer wieder, besonders heute, durch die aus der Säure von Urin oder Erbrochenem abgedunkelten Flecken und Spritzer. Und Zeitungen fliegen in Blättern herum, es ist Sonntag. Roman arbeitet. Helene ist zu Hause. Theresa geht, denkt an Vokabel, und an den Abend.


(Nostalgie. Geschrieben am 31. August 2006)

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